"Sind andere Betriebsräte auch so schlimm wie wir, Anke?", fragte mich ein Betriebsratsvorsitzender auf einer Klausurtagung in der Kaffeepause.
Und dann erzählte ich ihm ein paar Geschichten. Geschichten, die ich mit frisch gewählten Betriebsräten in diesem Jahr als Moderatorin in Klausurtagungen hautnah erlebte.
Geschichten zum Lachen und zum Weinen.
1. Das Spiel – Jetzt wird’s dreckig
Rufe ich nach der Mittagspause laut in die Runde. Wir spielen "Stadt, Land, Vollpfosten – die Rotlicht Edition“. Und auf einmal sind alle hellwach.
Langsam reiße ich die Zettel vom Block ab und verteile sie. Während sich die ersten Teilnehmer schon über die Kategorien wie Sexspielzeug oder Sexunfall amüsieren, warten die anderen noch gespannt.
Kaum hat das Spiel begonnen, kritzeln die Teilnehmer blitzschnell ihre Antworten aufs Papier. Als ein Betriebsrat laut "Stopp" schreit, ist das Spiel zu Ende. Nach den ersten lustigen oder schlüpfrigen Antworten können wir nicht mehr.
Wir können uns nicht mehr vor Lachen halten. Und die Probleme im Betriebsrat? Haben sich einfach in Luft aufgelöst. Deshalb werde ich morgen nach der Mittagspause wieder rufen: "Jetzt wird´s dreckig!" und mich auf lachende Gesichter freuen.
2. Die Uhr – Jetzt wird´s krachen
Schuld ist die Teamentwicklungsuhr, die am Flipchart auf ihren großen Auftritt wartet. Ich stelle kurz die vier Teamentwicklungsphasen nach Tuckman vor, die auch ein Gremium im Betriebsrat durchläuft.
Während die Betriebsräte nun ihre roten Moderationspunkte auf die Uhr kleben, ahne ich, was die Stunde geschlagen hat. Im Gremium ist es zwischen 3 und 6 Uhr. Die Kampfphase hat den Betriebsrat fest im Griff.
Und gleich wird´s krachen. Alle reden sich den Frust von der Seele. Machtkämpfe zwischen Listen, schlechte Stimmung im Betriebsrat, Streit zwischen Betriebsratsmitgliedern in der Betriebsratssitzung machen den Betriebsräten das Leben schwer.
Manche spielen sogar mit dem Gedanken, den Betriebsrat wieder zu verlassen. Dunkle Wolken schweben nun auch über der Klausurtagung. Doch als die Betriebsräte die ersten Ideen vorstellen, wie sie die Kampfphase hinter sich lassen, wird es wieder heiter.
3. Die Chefin – Jetzt wird´s gefährlich
Denke ich mir, als eine Teilnehmerin in der Kennenlernrunde den frisch gewählten Betriebsratsvorsitzenden, der sich als Betriebsratschef vorstellt, über den Mund fährt.
Doch plötzlich werde ich zur Zielscheibe. Denn ich lasse sie als erfahrene Betriebsrätin nicht in die Arbeitsgruppe der unerfahrenen Betriebsräte, um kein falsches Bild von der letzten Amtszeit im Betriebsrat zu bekommen.
Nach einem kleinen Wortgefecht spielt sie die beleidigte Leberwurst. Ich lasse sie links liegen und gehe in einen anderen Raum. Kaum bin ich wieder zurück, sehe ich, dass sie nun doch in ihrer Arbeitsgruppe mitmacht und sogar das Zepter in der Hand hält.
Die Gefahr ist aber noch nicht gebannt. Denn immer wieder fällt sie anderen Betriebsräten ins Wort und meine Geduld neigt sich wie der erste Tag langsam zu Ende. Am nächsten Tag platzt mir der Kragen, denn sie unterbricht ständig mein Gespräch mit einem Teilnehmer.
Das erste Mal in 10 Jahren bin ich kurz davor, die Klausurtagung abzubrechen und nach Hause zu fahren. Als die Teilnehmerin dann plötzlich die Klausurtagung verlässt, ist mir klar, wer sich hier als Betriebsratschefin aufgespielt hat.
4. Das Postfach – Jetzt wird´s armselig
Schon am Abend vor der Klausurtagung beim Essen höre ich immer wieder das Wort Postfach. "Wie kann man mit einem Postfach ein Problem haben?", frage ich mich im Stillen.
Am nächsten Tag traue ich meinen Ohren nicht, als die Betriebsräte mir erzählen, dass sie in jeder Betriebsratssitzung hunderte Mails an die Leinwand werfen und unter die Lupe nehmen, die im Postfach des Betriebsrates landen.
Ich verstehe das Problem immer noch nicht, denn alle Betriebsratsmitglieder haben Zugriff auf das Postfach. Auch das Anlegen von Ordner nach Ausschüssen und andere Lösungen waren zum Scheitern verurteilt.
Wir drehen uns in der Klausurtagung im Kreis und endlich nennt ein Betriebsrat das Kind beim Namen. Im Gremium herrscht Misstrauen gegenüber dem Betriebsratsvorsitzenden. Und ich frage mich im Stillen: "Armes Postfach? Nein. Armer Betriebsrat."
5. Der Bus – Jetzt wird´s lustig
„Bitte alle einsteigen! Der Betriebsratsbus fährt gleich los!", ruft der Reiseführer, der Ersatzmitglied im Betriebsrat ist. Brav setzen sich alle Betriebsräte auf die Stühle, die ich heimlich in der Pause wie in einem Bus hingestellt habe.
Und jetzt wird´s lustig. Der Reiseführer mischt sich jetzt unter die Reisegruppe und fragt den Betriebsratsvorsitzenden: "Wer lenkt den Bus im Betriebsrat?". "Keiner. Der Fahrersitz ist ja leer.", kommt als Antwort.
Im Bus wird gelacht und getratscht. Der Reiseführer kämpft sich weiter zu den hinteren Reihen durch und fragt: "Sitzt ihr im Betriebsrat auch immer auf den hinteren Reihen?" und "Wohin fährt der Bus eigentlich?". Schulterzucken ist die Antwort.
Hat vielleicht der Arbeitgeber das Lenkrad fest in der Hand und lenkt den Bus des Betriebsrates? Hat der Betriebsratsvorsitzende überhaupt einen Führerschein? Und wer kann den Bus reparieren? Eine Frage jagt die andere, die ich mit dem Reiseführer ausgeheckt habe.
Die Busfahrt ist zu Ende. Und der lustigen Reisegruppe vergeht langsam das Lachen. Denn die kleine Reise hat gezeigt, an welchen Stellen das Betriebsratsteam schrauben muss. Und ich freue mich auf die nächste Klausurtagung, wenn es wieder heißt: "Bitte alle einsteigen!".
Und denke daran: "Das Leben schreibt die schönsten Geschichten."
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